Verlangen nach dem Unbewussten
Eine Einführung zum Werk von Martin Hudelmaier
—Dr. Dieta Sixt, Sommer 2006

Die Entzifferung der menschlichen Erbanlagen hat Martin Hudelmaier nicht mehr erlebt, allerdings war die Nähe zu Daten, die er als Codes verstand, und deren mystische Deutung, schon zu seinen Lebzeiten (1949-1982) lebenserfüllend. So wie die Genforschung vor einer technologischen Revolution steht, die die ganze Gesellschaft erfassen wird, so geschah es damals Ende der sechziger Jahre, als die Einbindung der Astrologie in die alltägliche Lebenswelt eine Popularisierung erfuhr, die sich nicht nur auf die Esoterik beschränkt.

Eine Beschäftigung mit Codes bestimmt seit geraumer Zeit die Ästhetik und Kraft der Zukunft. Martin Hudelmaier machte sich der Codewelt der Astrologie zu eigen und trug zur Verbreitung dieser Codes in seinem eigenen Werk bei. Codes, nicht erst seit dem Internet bekannt, dafür schon länger aus der konkreten Poesie, wie aus der Notation im musikalischen Bereich, finden in der Subkultur Eingang oder sind Ausgangspunkt für u.a.m. Design und Entertainment. Vor allem dort in der Unterhaltungsindustrie findet heutzutage die Astrologie ihren Massenanspruch.

Als Gegenstand der bildenden Kunst hat es die Astrologie “in solcher Ausschließlichkeit” wie bei Martin Hudelmaier “noch nicht gegeben” schreibt der Kritiker, Professor Wolfgang Längsfeld . Sie reicht bis zur Entwicklung einer eigenständigen “Astro-Art”, eine Stilrichtung, mit der Martin Hudelmaier bis zu seinem Lebensende identifiziert wurde. Die Modellhaftigkeit dieser Malerei, die entpersönlichte Strichführung, die Verweise auf spirituelle Landkarten, die Selbstthematisierung, sind immer wieder auftauchende Versatzstücke aus dieser “Lehre” des Künstlers und zugleich Lebensratgebers, Martin Hudelmaier, aus seinem eigenen Prinzip Hoffnung.

So provoziert jede malerisch umgesetzte astrologische Beschreibung einen Gegenentwurf, und zwar den des eigenen Lebens. Die Astrologie in den Händen von Martin Hudelmaier interessiert nicht, Dinge zu beschreiben und zu fixieren. Vielmehr nutzt Hudelmaier ihre Eigenschaft, physische wie mentale Bewegung zu evozieren. Die Erfahrung des Kunstwerks wird damit zugleich Selbsterfahrung. Die so entstandene Kartographie des Mentalen ist so verschlungen und flexibel, wie es das Leben nach dem Hudelmaierischen-Optimismus abfordert.

Umschlagplatz für die Ideen der später zu bezeichnenden Astro-Art war für Martin Huldelmaier eindeutig Paris. Aus der Ferne bietet sich das hektische Stadtleben als Muster dar. Sich darin zu bewegen, einzutauchen, sich dem auszusetzen, später sich wieder herauszubewegen, dann fortzuschreiten und endlich wegzubewegen. Ein ständiger Perspektivenwechsel kommt dadurch zustande, einer von drinnen und draußen. Es handelt sich um eine Bewegung, bildlich und real zugleich, die sich im Werk flächig und linear widerspiegelt. Diese zirkuläre Bewegung ist eine Eigenschaft, die im Werk von Martin Hudelmaier immer wieder auftaucht.

Auch Hudelmaiers Motive repetieren sich, sie kommen immer wieder an die Oberfläche. Die Schwelle, an der die Sicht des Künstlers evident wird, deuten die in dieser Zeit entstandenen graphischen Setzungen an, die als Zeichen von Transfer und Transformation das astrologische Bild bestimmen. Der Text Hudelmaiers ist dem Bild ebenbürtig und dadurch wird der Künstler mit seiner Aussage zum Lebensratgeber für den Betrachter.

Pariser Jahre

Der einschneidende Besuch bei seinem “Freund”, wie Hudelmaier Joan Miró nennt, findet 1969 auf Mallorca statt. Dieses Erlebnis prägt die anschließenden Pariser Jahre von Martin Hudelmaier, denn diese Begegnung mit seinem Vorbild codifiziert die Ästhetik als Lebensprinzip. Hudelmaier findet nun langsam zu seiner eigenen Handschrift. Die Aura von Authentizität, die diese Handschrift, nämlich die Astro-Art, innehat, entwickelt sich in dieser Periode. Dank des Zuspruchs von Juan Miró löst sich Hudelmaier von seinem Vorbild und hält fest an seinem neuen Stil.

Die Zeit in Paris legt das Fundament für die ästhetische Umsetzung von Hudelmaiers Studien der Religionswissenschaften und der Kosmologie. Jeder soll über sein eigenes astrologisches Schicksal informiert sein, war damals die Aufforderung des Künstlers. “Das Schicksal als System” wird zur Maxime und bildet sogar noch kurz vor seinem Tod den Titel seines Ausstellungskatalogs für den Kunstverein Ludwigsburg ab.

Aktionen und Performances

Insbesondere in der Pariser Zeit ist der Alltag des Künstlers durch Aktionen allerart geprägt. Die Sujets des Alltags inspirieren Hudelmaier wie auch eigene Träume, die er zu einem späteren Zeitpunkt in einen performativen Gestus umsetzt. Dieser Performance- Charakter seiner Aktionen hat sicherlich Vorbilder in der Theaterwelt, allerdings stammen solche Theater-Erlebnisse zu dem Zeitpunkt nicht aus Hudelmaiers eigener Welterfahrung. Martin Hudelmaier war kein Lebemann. Man fragt sich, woher der Trieb kommt, woher die Ideen, die von seiner Umgebung in ihrer Unmittelbarkeit oft nicht verstanden wurden.

Martin Hudelmaier durchläuft verschiedene Performance-Phasen zu dieser Zeit seines Schaffens; als Selbstdarsteller, der mit einem Vogelkäfig auf dem Kopf durch die Strassen von Paris pilgert; als Akteur, der Kleiderbemalungen bis zu Körpergestaltungen als Happening inszeniert; als Astro-Art Künstler, der diesen Schaffensprozess als wesentlich für die eigene Selbstentwicklung wertet. Die Kunst Martin Hudelmaiers hält schon zu dieser damaligen Pariser-Zeit dem Betrachter kritisch soziale Entwicklungen vor Augen. Die Aufforderung zur Aktion, die seine Kunst thematisiert – versteht Martin Hudelmaier als eine Anleitung zum Leben, gedacht für sich selbst und auch für andere.

Von Paris bis nach Esslingen gestaltet und begleitet Hudelmaier seine Performances und sieht darin neue Wege im Umgang mit der Farbe selbst, mit der er zu einer neuen Form findet. Die leuchtenden Farben seiner Vorbilder werden bei Hudelmaier zu einer Vitalfärbung. Neben dieser plakativen Farbigkeit, der schwarzen Umrandung der kolorierten Felder, neben dem Illustrationscharakter der betexteten Bilder informiert die Musik Mozarts, die stets Hudelmaiers Aktionen in dieser Zeit begleitet, “den Aufbau eines eigenen “Köchel-Verzeichnisses” wie es der Künstler selbst formuliert.

Der Betrachter der Bilder Martin Hudelmaiers aus diesen Jahren erlebt eine Einbettung in Kultur und deren Bezugswissenschaften. Die Vorbilder für diesen Aspekt von Hudelmaiers Kunst stehen in der Pop-Kunst Tradition; von daher ist seine Affinität zur Aktionskunst einzuordnen. So hat sich Hudelmaier auch selbst gesehen. Zunächst seine Selbstbemalungen, dann anschließend seine Aktionen: die Körpergestaltungen in Paris und später in Esslingen gehören diesem kunsthistorischen Geist an.

Unabhängigkeit von gängigen Stilen

Es handelt sich bei Martin Hudelmaier um den Versuch, eine Form zu finden für die elementare Bewegung, die uns zwischen Bewusstem und Unbewusstem hin und her wandern lässt.

Uns zu Füssen liegt ein komplexer Grundriss eines astrologischen Gehäuses, dessen Eckpunkte ein Gebilde entstehen lässt, das un-heim-lich ist. Im Deutschen leitet sich das Wort “unheimlich” von “Heim” ab. Der Einbruch in unser Haus ist unheimlich, denn die alt bekannte Ordnung–das Heim–wird aufgebrochen. Wir verlieren dadurch die Orientierung. Dasjenige, was uns am nächsten liegt, die immer wiederkehrenden astrologischen Motive im Werk Hudelmaiers, begegnen uns auf eine Weise, die unbekannt ist, unvorbereitet. Das Vertraute der Motive der Astrologie wird in diesem Sinne zu etwas Unheimlichem für den Betrachter.

Dieses unheimliche Gefühl entsteht dadurch, dass wir etwas, was wir normalerweise erkennen und uns vertraut erscheint, nicht mehr als solches einschätzen, noch “wissen”. Die Eigenschaft von un-wissend tritt hervor.

Die un-ge-wusste Ordnung, das zunächst Unbewusste und Unheimliche, mit anderen Worten – unser “Mystizismus”, ist das, was Martin Hudelmaier interessiert, und diese Ordnung aufzulösen und immer neu zu verbinden ist das, was wir als Betrachter mitnehmen.

Martin Hudelmaier, der mit seiner Astro-Art als Künstler und Lebensratgeber fungiert, unterstützt uns, indem er uns selbst zu Aktion anspornt. Dies ist das ermutigende Vorzeichen, was uns letztendlich in der von Martin Hudelmaier geschaffenen mentalen Kartographie begleitet.