Das Schicksal als System
Zu den Bildern von Martin Hudelmaier
—Prof. Wolfgang Längsfeld, 1974

Als Gegenstand der bildenden Kunst hat es die Astrologie in solcher Ausschließlichkeit wie bei Martin Hudelmaier bislang noch nicht gegeben. Wo immer sie in Bildern auftauchte, war sie Zitat oder Illustration eines Textes. Dafür war sie oft genug Gegenstand der Gebrauchskunst, der trivialen Bildwelt, die wir heute wiederzuentdecken beginnen, weil wir einzusehen lernen, daß die Kunst nicht einzig und alleine aus ihren Hochformen besteht, sondern ihren einflussreichen und kulturhistorisch bedeutsamen Fundus in den populären Künsten hat.

Martin Hudelmaier hat das erkannt und für die spezielle Ästhetik seiner Bilder nutzbar gemacht. Man könnte seine Arbeiten bei flüchtigem Hinsehen als naiv oder naivisch halten, würde ihnen damit aber keineswegs gerecht. Die astrologische Bildwelt, die hier aufgebaut wird, ist eine raffiniert kalkulierte Kombination einfacher Farben und Elemente, deren Kodex aus der Zeichensprache der Astrologie ebenso stammt, wie er abzuleiten ist aus der Bildtradition der populären Künste. Diese Herkunft – bewusst oder unbewusst eingebracht – geht über den Bereich abendländischer Bilderfahrung weit hinaus. Sie ist, wie ich in anderem Zusammenhang über die Arbeiten Hudelmaiers angemerkt habe, bis zu den westafrikanischen Schildermalern und ihrer speziellen Zweidimensionalität der Darstellung ebenso zu verfolgen, wie zu Bilderbögen und zu Spielkarten, zu illustrativer Buchmalerei, zu den Schautafeln der Moritatensänger, zu naiver Kunst oder auch zum indischen Tantrismus.

Hudelmaiers Astrologie, für mich inhaltlich nicht nachvollziehbar, umfasst im Wesentlich nur zwei Bereiche: Einmal die generelle, prognostische, analytische, regelhafte Astrologie, die sich in den Bildern der Sternenhäuser und Tierkreiszeichen niederschlägt, und zum anderen die retrospektive Astrologie, die das Schicksal von Leuten oder die Zwangsläufigkeit großer, bzw. katastrophaler Ereignisse nachträglich aus den Sternen als unausweichlich begründet. Dahinter steht der Glaube an eine Systematik des Schicksals, in den der Tod Kennedys ebenso eingestellt ist, wie der Untergang der Titanic, die Katastrophe des Zeppelin. Wie alle Astrologen nimmt Hudelmaier das nicht fatalistisch oder altklug, sondern mit schmunzelnd erhobenen Zeigefinger, der da sagt: Passt auf Leute, es steht in den Sternen, aber wie ein Hinweis, den ihr als Wink nehmen könnt, und wenn ihr euch danach richtet, geht alles gut, dann müsst ihr Euch am 27.6., wenn die Sterne Anfälligkeit für Erkältungskrankheiten anzeigen, warm anziehen und Zugluft meiden. Und wenn für den 30. Die Chancen für eine glückliche Hand im Spiel gut stehen, sollt ihr den Lottozettel nicht schon am 29. Ausfüllen. Deshalb sind Hudelmaiers Bildern vielleicht auch so fröhlich und so volkstümlich plakativ, das erklärt möglicherweise die ausgiebige Verwendung der schönen, einfachen handgeschriebenen Texte. Hudelmaiers Bilder sehen aus wie Vorlagen für populäre Buntdrucke, die man sich für Dekoration und zum nützlichen Gebrauch, als Mahnung und Aufforderung an die Wand hängen kann, um sich gelegentlich daran zu erinnern, dass wir nicht nur im funktionalen Netz der Naturwissenschaften und ihrer Erkenntnisse leben, sondern möglicherweise tatsächlich eine Chance haben, einen Wink der Sterne richtig zu verstehen. Aber das schließlich bleibt Glaubenssache und jedermanns private Angelegenheit.

Hudelmaiers Anliegen ist sicher kaum missionarischer Natur. Eher will mir scheinen, dass er seine staunend gemachten Entdeckungen auf dem werten Feld der Astrologie durch seine Bilder mitteilen will, woraus sich ihre graphische Form erklären mag, die sich so gut für massenhafte Verbreitung und Reproduktion eignet.