Die Pandora Box
Vorwort zum Kassettenwerk Martin Hudelmaier —Prof. Wolfgang Längsfeld, 1974

Im Zorn über den Raub des Feuers durch PROMETHEUS SCHUF Zeus die Pandora und schickte sie mit der berühmten Büchse zu den Menschen. In dieser Schachtel, diesem Gefäß, waren mannigfaltige Gaben, und als Pandora ihren Kasten vor Epimetheus, dem Bruder des kühnen Himmelsstürmers, öffnete, flogen die Übel heraus. Nur die Hoffnung blieb darin zurück, als Pandora die Allgebende, den Deckel wieder schloss.

Der schwarze Kasten von Martin Hudelmaier mit den zwölf Häusern des Menschen darin und aller Hoffnung, die er in die Systematik der Abläufe im gestirnten Himmel setzt, hat keine Schrecken mehr zu entlassen. Die Geheimnisse der Astrologie sind zur fröhlichen Wissenschaft für jeden geworden, ohne den Zauber der Magie verloren zu haben. Der großartige Charme des Künstlers von 1975, der den Blick aufhebt zu den Sternen. Aber nur, um ihn gleich wieder zu senken und die Nase in das Buch zu stecken, worin geschrieben steht, wie sich dieser teils von der Romantik, teils von der Astronomie und ein klein wenig von der Astronautik besetzte Sternenhimmel ausnimmt, wenn man ihn über seine Konstellationen zum Schicksal befragt. Damit es dir gut gehe und du lange lebest auf Erden! Wissenschaft, Kult, fröhliche Magie. Was macht die Kunst aus, dass sie uns immer noch etwas angeht? Wo und wie kann man einen als verantwortlichen Zeitgenossen ernst nehmen, wenn er den Deckel wieder zumacht und sagt, die Ware Hoffnung, mit der ich werbe und handle, bleibt drin, aber sie ist auch drin. Da sind die Regeln, da ist das Repertoire von Zeichen, da sind deine Stärken und hier deine Schwächen! Mach die Augen auf, wenn du heute morgen aus dem Haus gehst, denn die Sterne stehen schlecht für den Zustand deiner Raucherkehle, aber hervorragend für eine neue Liebschaft. Und Hudelmaier – wie ein Moritatensänger seiner halbseidenen Wissenschaft – zwinkert mit den Augen und droht mit dem Finger, als wolle er sagen, schau her, mein Lieber, die Sterne stehen so und so, zieh´s in Erwägung und sieh ein, dass die kleine Besinnung auf die Selbstverantwortlichkeit dir jeden Tag gut tut. Und so verbreitet er Optimismus und packt die Hoffnung in seinen schwarzen Kasten. Ein Menschenfreund, der besseren Effekt hat als die traurigen Horoskoptanten in den Heften der Frisiersalons.

So und deshalb auch sein so raffiniert einfacher und plakativer Stil. Seine Frechheit, seine Plakativität, die Qualität, alles immer so aussehen zu lassen, als sei es Vorlage für eine Massenauflage. Hudelmaier ist ein Popularisierer seines Metiers. Einer, der so niemand aus seinen Bildern heraus – oder in sie hineinzuinterpretieren braucht; denn kein Bild von Hudelmaier, auf dem nicht klipp und klar in deutlich leserlicher Handschrift geschrieben stünde, worum es sich handelt.

Worum handelt es sich nun wirklich bei seinen Bildern? Einmal, rein inhaltlich, scheinen mir diese Blätter wie Aufforderungen für jedermann, sich über die begrenzte Sphäre seiner Privatheit zu erheben, um diese gerade in ihren persönlichen Aspekten sinnvoll eingelagert zu sehen in Systeme, die bis ins Universale gehen, aber auch kritisches Selbstbewusstsein und soziale Verantwortlichkeit provozieren. Nicht die fatalistische Schicksalsgläubigkeit, sondern die aktivierende Aufforderung, ein Wink des Schicksals oder der Sterne als Motiv für bewusstes Handeln zu verstehen. Dann, formal gesehen, sind das fröhliche, populäre Bilder, deren streng graphischer Charakter die astrologischen Inhalte entmystifiziert, ohne ihnen Charme und Magie der endlich doch rätselhaften Zusammenhänge ganz zu entreißen. Die plakative, komplementäre Farbigkeit, die schwarze Umrandung der kolorierten Felder, der Illustrationscharakter der betexteten Bilder, das alles rückt Hudelmaiers Arbeiten ab von der naiven, und erst recht von der naivischen Kunst, in deren Zusammenhang sie gern gestellt werden. Ihre Stärke ist in ihrer Unabhängigkeit zu gängigen Stilen und Rezepten zu sehen, ihre Nähe zu den populären Künsten nicht nur unseres Kulturkreises paart sich mit einem rigorosen Humor, der dem Gemalten seine Selbstverständlichkeit gibt und eine Kraft, die gebändigt und gefangen ist von dieser thematischen Besessenheit oder Selbstbeschränkung, die zur Unverwechselbarkeit eines privaten Stils führt.

In dieser Box sind zwölf Bilder, zwölf Wünsche, zwölf Hoffnungen, zwölf Chancen, zwölf Statements, zwölf ästhetische Gegenstände, zwölf Bilder. Wenn sie auch Hoffnungen bedeuten, sollte klar sein, dass Hoffnungen nur einen Wert haben, wenn sie in eigene Aktivitäten und Initiativen umschlagen oder wenigstens einmünden. Dabei kann die Kunst hilfreich sein, dazu kann man die Astrologie befragen. Ob Hudelmaier solches mit seinen Bildern tatsächlich im Sinn hat, bleibt unerheblich. Uns interessieren sie, wenn nicht als Einzelobjekte, dann in ihrer Einbettung in Kultur und geistesgeschichtliche Zusammenhänge zwischen Pandora und afrikanischer Schildermalerei, oder zwischen der Zeichensprache der Sterndeuterei vieler Kulturen und unserem eigenen Selbstverständnis in unserer Zeit und schließlich als höchst reizvolle Äußerung einer Künstlerpersönlichkeit, die sich in einem Randgebiet unseres Lebens angesiedelt hat, von dem nur allzu viele in blinder und dumpfer Gläubigkeit Hilfe erwarten. Martin Hudelmaier wohnt dort in Selbstverständlichkeit und zu jeder fröhlichen Distanz fähig. Die zeigt er in seinen Bildern als ein anderes Prinzip Hoffnung.