Interview mit Journalist Jörg Frohmeier
Wüstenrot-Neuhütten/Plapphof, Sommer 1980
Martin Hudelmaier, Sie gelten als der einzige malende Astrologe, als Begründer der Astro-Art. Wie sind Sie zur Malerei, wie zur Astrologie gekommen?
Von Haus aus bin ich Maler; die Astrologie hat sich erst später eingefunden. Dass ich heute Astrologie male, ist eigentlich eine Rückbesinnung auf Kindheitserlebnisse. Es gab für mich damals keine Märchenbücher. An die Stelle von Wolf und den sieben Geißlein sind für mich, auch bedingt durch meine Mutter, die sich mit Astrologie beschäftigt hat, immer die Sternzeichen getreten. Darunter konnte ich mir von Kindesbeinen an etwas vorstellen.
Kann man Ihre Bilder deshalb als Ausdruck einer bunten Märchenwelt begreifen, die Sie anderen vermitteln möchten, die Sie anderen vielleicht wünschen?
Ja, es ist eine fantastische Welt. Jeder hat seine eigenen Märchen, seine eigenen Träume. Was mich angeht, so möchte ich Gemeinsamkeiten finden, einen Code, der diese Gemeinsamkeiten aufzeigt.
Wenn Sie bestimmte Details in Ihren Bildern wiederholen, zum Beispiel die Schiffe, die Regenbogen – sind das Symbole?
Das sind meine Symbole, das ist eine Bildersprache. Es hat angefangen mit Köpfen, zu dem Kopf ist der übrige Körper hinzugekommen, und drum herum habe ich die Landschaft gefunden. Zuerst wohl Strände – als Doppelassoziation: Fernweh, Reisen. Im eigentlichen Sinne sind es Grundwahrheiten, in denen sich das Leben widerspiegelt. Das ist es auch, was ich mit meiner Malerei ausdrücken möchte, was immer stimmt, ganz unabhängig von der technischen Situation, in der wir uns gerade befinden.
Aber die Grundwahrheiten, die Sie vermitteln, haben doch auch immer einen optimistischen Aspekt durch die Farbenvielfalt, durch die leuchtenden Farben, die Sie verwenden. Versuchen Sie, in Ihrer Umgebung das Positive zu sehen?
Es liegt eben an mir, diese optimistische Lebenseinstellung, und das zeigt sich auch an meinem eigenen Horoskop. Wenn ich da an meinen Jupiter und an meinen Mond denke, die beide im ersten Haus stehen, muss man so etwas schon menschenfreundlich sehen.
Welche Bedeutung hat es überhaupt für Sie, im Sternbild des Widder geboren zu sein?
Es ist für mich wichtig, eine Art Schema zu haben, in dem ich mich auch selbst wiederfinden kann. Selbstfindung spielt eine große Rolle dabei. Meine Mutter hat früher zu mir gesagt, zu einem Widder-Mann passe am besten eine Löwe-Frau. Heute bin ich mit einer Löwin verheiratet.
Sie setzen sich, wie man an Ihrer „Elektion über Rauschgift“ sieht, über die Astrologie mit einer ganz konkreten Zeiterscheinung auseinander. Haben Sie da auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können oder versuchen Sie da, ein Mittler zu sein?
Ich gehöre zu den Menschen ohne Rauschgifterfahrung, weil ich die fantastische Welt ja eigentlich schon mit der Muttermilch eingesogen habe. Wem diese angenehme Welt fehlt, der greift zum Rauschgift, um sie auf diesem Weg vielleicht zu finden. Das spielt sich bei mir jedoch alles natürlich ab. Wenn man es allerdings ganz streng nimmt, kann man auch ein paar Gläser Wein als Droge werten. Es ist naheliegend, dass man sich angesichts dieses Bildes fragt, ob ich aus eigener Erfahrung spreche. Aber ich fand eben das Thema wichtig, genauso wie bei einem Bild, das ich jetzt gerade male zum Thema „Daten“, wie wir verdatet werden. Ich habe bisher die echte Bedrohung immer in der A-Bombe gesehen, aber die ist es nicht ...
Die ist zu abstrakt gegenüber den Bedrohungen, denen wir uns täglich ausgesetzt sehen ...
... ja, die echten Gefahren lauern heute zum Beispiel im Datenbereich. Wir werden so manipulierbar, das kann man sich gar nicht vorstellen.
Fühlen Sie sich als engagierter Maler, als politischer Maler im weitesten Sinne?
Ich will etwas Gesehenes, etwas Empfundenes als etwas Geschautes weiter geben und vermitteln. Dieses Vermitteln möchte ich auf einen gemeinsamen Nenner bringen, den jeder versteht - als klare Aussage.
Sie machen dafür aber nicht nur ihre Bilder, Sie beschäftigen sich auch seit längerer Zeit mit Objekten. Wollen Sie damit eine ähnliche Bilderwelt vermitteln?
Wenn ich Plastik machen will, löse ich die gefundene Zeichensprache aus den Bildern heraus in Objekte, in Plastiken. Ich nehme dazu einen Kopf oder eine vollbusige Dame zum Beispiel. Die bleibt dann zwar reliefhaft und zweidimensional. Aber wenn sie nicht auf dem Tableau, sondern so da steht, gibt es eine plastische Angelegenheit ...
... die Menschen zwingt, sich noch intensiver damit auseinander zu setzen?
... ja, es fordert auf, sich verstärkt mit Einzelsymbolen zu beschäftigen. In meinen Bildern steckt eine ganze Sammlung von Symbolen, da Schere, da Tiger, dort untergehende Sonne, Regenbogen, Palmen. Das ist eine große Zahl von Einzelgegenständen, die ich jetzt herausnehme, weil ich meine, dass sie schon als Einzelgegenstände sehr viel Bedeutung haben.
Sie haben über die Plastiken auch die Auseinandersetzung mit dem Tod gesucht und gefunden, indem Sie Ihren eigenen Sarg bemalt haben.
Vielleicht ist es nur eine Auseinandersetzung mit dem Leben. Ich habe das Gefühl, dass wir alle einen guten Glauben haben, wie es im Jenseits weiter geht, aber wie es wirklich ist, davon haben wir keine Ahnung. Was mich stört, ist die Art und Weise in der man mit Toten umspringt. Eigentlich klage ich mit meinem Sarg die Menschenrechte ein. Es ist eine Forderung nach Menschenrechten, die ich heute in unserer Gesellschaft auf die verschiedenste Weise verletzt sehe. Ich glaube, dass man darauf mit einem Sarg durchaus hinweisen kann. Denken Sie an die sterile Atmosphäre in Krankenhäusern mit ihren Sterbezimmern.
Sie wollen dem Sterben etwas Positives abgewinnen, indem Sie den Menschen zeigen, dass man auch in einer bunten Welt gestorben sein kann, dass man nicht in einer trostlosen Kiste sein Leben beenden muss?
Ja, es ist die Anklage der Lebensformen überhaupt, wie wir sie heute haben. Ich sehe zum Beispiel in unserer heutigen Architektur überhaupt keinen Sinn, da drängt sich der Vergleich mit der Beerdigung auf. Das ist mir zu uniform, da ist nichts Lebendiges, nichts Organisches dabei. Das sind Erkenntnisse, die ich schon als Kind aus dem Stubenwagen und aus meinem Laufstall heraus gemacht habe, ich bin nämlich unweit vom Friedhof aufgewachsen. Ein Teil meiner Kindheit habe ich mit dem Beobachten von Beerdigungen verbracht, bei denen mir auffiel: Das sind immer die gleichen Särge. An den Särgen konnte ich jedenfalls nicht absehen, wer da gerade gestorben war. Das hat sich bei mir eingeprägt. Irgendwie schien mir das alles auch nicht echt zu sein. Ich möchte die Lebensform verbessern, das ist alles.
Sie würden aber nicht wollen, dass jemand seinen persönlichen Sarg hat?
Doch, eigentlich schon. Ich fände es prima, wenn sich jeder seinen eigenen Sarg machen würde. Ich würde auch für Andere einen Sarg machen, ich habe es auch schon gemacht ...
... nur haben Sie dabei auch schlechte Erfahrungen gemacht ...
... ja, ausgerechnet bei einem Sarg (L.G.Buchheim).
Sie würden es trotzdem wieder versuchen?
Ja, ich würde einen neuen Auftrag als künstlerischen Auftrag selbstverständlich erledigen.
Wie stehen Sie überhaupt zu Aufträgen, die man Ihnen erteilt? Machen Sie die mit dem gleichen Engagement wie die Arbeiten, die aus Ihnen selbst kommen?
Ja, ich mache sie mit dem gleichen Engagement, nur dass ich mich bei Auftragsarbeiten unverhältnismäßig schwer tue. In der gleichen Zeit, die ich benötige, bis ich mich in ein von außen gegebenes Thema einlebe, würde ich vielleicht fünf eigene Arbeiten schaffen. Von der ökonomischen Seite darf ich das überhaupt nicht betrachten, da dürfte ich niemals Auftragsarbeiten malen. Aber ich lasse mich gern engagieren, weil ich mich gerne mit Fragen konfrontiert sehe, die sich anderen Menschen stellen.
Sie haben lange in Paris gelebt. Können Sie Vergleiche ziehen zwischen dem Künstlerdasein bei uns und in Frankreich?
Für mich gibt es immer eine Koppelung zwischen Arbeit und Menschsein. Da war es zweifellos in Paris schöner. Ich liebe diese Stadt sehr. Nur aus ökonomischen Gründen und weil ich eine Familie habe, lebe ich weitgehend in Deutschland.
Was sind denn ihre nächsten Pläne für die Zukunft? Bleiben sie als der malende Astrologe auf dem Land oder würden Sie wieder in die Stadt ziehen, ist da die Kreativität größer?
Durch die Stadt bekomme ich schon die größeren Anreize. Wenn ich mich Menschenmaler bezeichne, müsste ich in der Stadt leben. Da habe ich mehr Eindrücke, mehr Anregungen. Andererseits habe ich auf dem Land die Ruhe, die Beziehung zur Natur. Im Grunde genommen sollte man beides zugleich haben.
Das mit am häufigsten wiederkehrende Motiv auf ihren Bildern sind die bunten Regenbogen, die sich über das ganze Werk spannen, die manchmal auch durchbrochen sind. Was haben die für eine Bedeutung für sie, welchen Aussagewert?
Da schließt sich ein Kreis, es ist die Zweiseitigkeit des Lebens, mit der ich in den Bildern gerne jongliere. Beim Regenbogen ist einmal klar: Es ist ein Lebenssymbol, ein Hoffnungssymbol, eine lebensbejahende Figur. In der Hindu-Astrologie bedeutet das jedoch das Gegenteil, da steht der Regenbogen für den Tod, das Lebensende. Hinzu kommt die Buntheit des Regenbogens: die muss einen Maler einfach ansprechen. Auch bei der Sonne haben wir den halben Kreis, den ich als Assoziation verwende: Handelt es sich um die aufgehende oder untergehende Sonne?
Mit welcher Ihrer Symbolfiguren würden Sie sich am ehesten identifizieren können?
Mit Regenbogen und Busen, vor allem wenn beides ausgeprägt und wohlgeformt ist.
Sie haben früher einmal öffentlich Aufsehen erregt mit Körperbemalungen in Esslingen und Paris. Sind Sie heute ganz davon abgekommen, auf diese Art Aufsehen zu erregen, möchten Sie das mit Ihren Bildern subtiler erreichen oder war das nur eine Übergangsphase zu Ihren jetzigen Arbeiten?
Der Mensch ist bei mir immer im Mittelpunkt gestanden, auch die hautnahe Auseinandersetzung mit dem Menschen. Ich habe während der Körperbemalungen sehr viel gelernt. Sie haben meinen Entwicklungsprozess sicherlich beeinflusst.
Könnte man Sie im weitesten Sinne als Pop-Künstler bezeichnen?
Ja, das lasse ich insofern gelten, als der Pop-Künstler Kunst nicht als Ausdrucksmittel für eine Minderheit versteht. Nur sind das bei mir nicht Suppendosen oder Sujet´s des Alltags, sonder es ist gewissermaßen transzendenter Pop.
Könnte man Sie auch in die Kategorie der naiven Maler einstufen?
Das höre ich schrecklich ungern. Mit naiver Malerei hat meine Arbeit und meine Geisteshaltung überhaupt nichts zu tun. Man darf nicht meinen, weil ich jetzt reduzierte Formen bringe, vereinfache und Menschen und Landschaften auf eine Zeichensprache reduziere, dass dies naiv wäre. Auch aus der lebensbejahenden Form meiner Bilder kann man das nicht schließen. Das hat nichts mit der heilen Welt der Naiven zu tun. Mitunter quäle ich mich mit meinen Bildern, wenn ich nach den entsprechenden Symbolen erst suchen muss. Überdies beweist dies auch meine malerische Herkunft, die über das Actionpainting ging, über das Abstrakte.
Man nennt sie heute schon durchaus in einem Atemzug mit Hundertwasser und Miró, man sagt Ihnen eine große Zukunft voraus. Belastet Sie diese Erwartungshaltung der Fachwelt, stehen Sie da unter einer Art Erfolgszwang?
Überhaupt nicht. Was ich fordere und verlange, verlange ich immer erst von mir selbst. Wenn ich unglücklich oder glücklich bin, mache ich das zuerst mit mir selbst aus, ohne Rücksicht auf das Urteil anderer. Ich muss in erster Linie vor mir selbst bestehen können. Über Komplimente freut man sich natürlich.